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Leseprobe Die Schattenfreundschaft

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Prolog


Es war ein ganz normaler Novembertag, inmitten von Bosnien Herzegowina, wo nicht anders auch, im Rest Europas. Ein kalter Wind zog von der Adria herüber, und brachte die typische Kälte herüber, an die sich die Bewohner rings um Sarajevo herum, im Laufe der Zeit schon gewöhnt hatten. Also, was konnte noch diesen Jungen noch großartig aus der Fassung bringen, der sich mitten im Wald, in seinem getarnten Schlafssack, unter all den herangeschafften Ästen und Sträuchern so gut versteckt hatte, dass man ihn noch nicht einmal aus unmittelbarer Nähe entdecken konnte. So wie es er im Laufe seiner gesamten Jugend schon mehrmals getan hatte. Aber damals hätte er niemals die Vermutung geschöpft, dass ihn das in dem heutigen Bürgerkrieg sein Leben retten würde. Ihm die Härte geben würde, der er niemals geglaubt hätte. Nochmals überprüfte er sein Magazin seines Scharfschützengewehres, ob es auch noch bis zur letzten Hülse voll war. Denn er sah sich in seiner Tat, als ein Werkzeug, des Teufel, das von all seinem Übel auf eine Reise losgeschickt wurde, um dies zu tun, was er niemals wollte. Denn, nie stellte er sich in seiner Jugend die Frage, ob er je einen Menschen töten würde. Nie, fehlte es in seiner Jungen an Liebe. Nie, erwitterte sein Gefühl nach Neid! Nie hatte er daran gedacht, sein Leben könnte so einen Wandel genommen haben – auf dessen Stufe er nun stand. Noch einmal nahm er das Magazin aus seinem light fifty. Sein ganz persönliches Scharfschützengewehr, was für ihn im Laufe seiner Taten, sein Arm Gottes war. Dessen Finger, frisch poliert vor ihm langen. Zehn polierte 12,7mm recht groß, panzerbrechende, Leuchtspur-, Spreng- und Brandgeschosse lassen, dem Täter seines Hasses keinen sicheren Ort finden ließ. Ihm nie den sicheren Zufluchtsort zu wünsche vermarkte. Jetzt, war er es, der zur Waffe greifen musste. So oft er auch seine Kugel in der Vergangenheit poliert hatte – kam es ihm mehr und mehr wie eine Erregung vor, deren Höhepunkt, er beim Abfeuern finden würde.
So rückte er noch mal beim Verlassen seines Schlafplatzes seine Kleidung zurecht, wollte er trotz seines angereicherten Geruches, den er in all den ungewaschenen Tagen, angenommen hatte, noch einen gepflegten Eindruck hinterlassen. Aber, was hatte er für eine andere Möglichkeit. Dies gehörte zu den Spielregeln, des Krieges. Dies war der Schweif, den das Elend mit sich zog. Aber was hatte er jetzt für eine andere Möglichkeit, als sich auf den Weg zu machen? Noch schnell verstecke er seinen Schlafsack unter einer alten abgestorbenen Baumkrone, die in unmittelbarer Nähe recht günstig auf seinem Weg lag. So, dass er sicher davon ausgehen konnte, keine weitere Sekunde weiter zu vergolden. So tief steckte der Schmerz in ihm, dass er an diesem Tag sein Werk vollenden wollte. Leise schritt er daher. Niemand durfte ihn hören. Nichts durfte die Ruhe des Waldes stören. Das Zwitschern der Vögel. Der pfeifende Wind. Machten diesen Krieg so unreal. So, als hätte es ihn nie gegeben. Einen kurzen Moment, vergaß er völlig, was für ein Hass über diesem Land lag. Aber da sah er sie – Sarajevo, seine Heimatstadt, die im Kessel des Feindes täglich um ihr Überleben kämpfte. War das jetzt noch wichtig? Völlig von Sinnen, durchquerte er den lang gezogenen Tunnel, der den Bürgern dieser Stadt zur versteckten Versorgung diente. Ohne des Wissen, des Feindes, der in seiner Tat von jeglicher Gegenwehr nie ausging.
Auf der anderen Tunnelseite angekommen, schlich er völlig verdeckt – so dass ihn niemand sehen konnte, durch die Straßen, über den Südteil der Stadt, bis zu dem Fluss Miljacka, der die Frontlinie zum Nordteil der Stadt war. Und suchte sich rasch auf dem Dach eines Gebäudes den Überblick, dem sein Verräter nicht entrinnen konnte. Und da kam er auch schon, im Schutze des dichten Nebels, der noch immer im Tal liegend, in der Stadt war. Aber, würde dieser es verstehen – doch da erstarrte der rote Infrarotpunkt seines Zielfernrohres auf dem Gesicht, des Menschen, der Mal sein bester Freund war.

Erster Teil

01


Die Sonne schien über dem Tal herein. Allem Anschein nach sollte es heute einen schönen Tag geben. Der Himmel wolkenlos. Ein frischer Wind kam von Süden her, der schon einen recht angenehmen Start in den Tag gab. Das war das, was David so am Zelten mochte. So sehr er sich an das offene Lagerfeuer geweckt hatte, liebte er es unter dem freien Himmel zu schlafen. Was weit über den Bergen von Sarajevo, die rings um die Stadt ragten, so als wäre sie von einem Hauch von Stille bedeckt. Der Nebel wie eine Decke so über der Stadt hing, dass man nur noch die zwei mächtigen Türme, das Bosmel City Center, erkennen konnte, die wie zwei lange Hälse aus dem Tal herausschauten. Ein unvergesslicher Anblick, den David so an seiner Heimatstadt liebte. Und Pat, er lag noch im Tiefschlaf in seinem Schlafsack. Pat hatte nicht das Verständnis für David, der sich so von der Naturlandschaft mitnehmen ließ, dass sogar die eine oder andere Träne Pat schon an Davids Wange herunterlaufen sah. So als sei es ein Abschied für immer. Denn dass die alten Zeiten vorbei waren, das wusste Pat so gut wie David, die es bis dahin vorgezogen hatten, immer in ihren langen Schulferien zelten zu gehen. Aber nun trennen sich ihre Wege. David, der es im Gegensatz zu seinem besten Kumpel lieber vorzog, eine Tischlerlehre zu machen, als auf die Universität zu gehen. Auf was sein Vater sehr viel Wert legte. Er war nicht der Typ von Mensch, der etwas mit einer Uni anfangen konnte. Er stammte eher aus einer Handwerksfamilie, und in dieser Richtung sollte sein Sohn weitergehen, so gerne er seinen eigenen Weg gegangen wäre, beugte er sich dem Willen seines Vaters.
„Wie spät ist es?“ meldete sich ein völlig mitgenommener Pat aus seinem Schlaf heraus, der es wieder mal nicht so recht glauben konnte, dass David schon aufgestanden war.
„David, alles in Ordnung bei dir?“ hakte ein recht verwunderter Pat nach, der vergebens auf eine Antwort gewartet hatte. Und David, er nickte nur schweigend mit dem Kopf, und blickte dann auch schon so auf seine Armbanduhr, als wäre nichts gewesen.
„Es ist kurz nach sechs in der Früh!“ und sie waren schon beide wach, was sie irgendwie nicht verstehen konnten. Hatten sie sich doch sehr am gestrigen Abend, mit Bier und Bratwürste, über vergangene Tage unterhalten, mussten sie sich nun eingestehen, dass es mit ihren Jugendtagen endgültig vorbei war. Wussten sie doch beide nur zu gut, dass in zwei Tagen David seine Ausbildung anfangen würde. Und mit Pat, ihm stand die Uni schon regelrecht vor der Haustüre, denn allzu weit wohnte er nicht von ihr. Vielleicht war das der Grund, warum er in seiner Klasse immer zu den Besten gehörte. Hatte er doch sein Ziel, im wahrsten Sinne des Wortes, immer im Auge.
So schön ihre Jugend auch war, genossen sie den letzten Abend zusammen, denn eins war den beiden schon klar, dass die Zeit für gemeinsame Abenteuererlebnisse nun endgültig vorbei war. Denn, wie es Davids Vater schön formulierte, „Es wird Zeit, dass du langsam erwachsen wirst!“.
So gerne die beiden noch geblieben wären, rollten sie rasch ihre Schlafsäcke zusammen, sammelten ihre alten Bierflaschen zusammen, und löschten noch schnell das Feuer, bevor sie gingen, wurde doch David zur allmorgendlichen Hausarbeit zu Hause empfangen, war er doch nicht mehr der Jüngste. Und sein Rücken, der wollte nicht mehr so, wie er in seinen jüngeren Tagen gemacht hatte.
Sie hatten es nicht allzu weit, bis Vidikova, eine kleine Ferienwohnungsanlage, die über den höchsten Punkt dieser Stadt, schon eine recht angenehme Adresse war. Was David und Pat eher weniger interessierte. Die wenigen Häuser dort waren den beiden nicht so wichtig, wie die Seilbahn, die ihre Bestzeit, wohl während der Olympischen Spiele, im Bereich Alpin, hatte. Aber was konnte die beiden schon abschrecken, so abgesplittert die rote Farbe an den Fahrkabinen ihre letzten Tage zählten.
Missmutig, völlig verwundert, blickte sie der Fahrkartenverkäufer an, der in seiner engen Fahrkartenkabine, auf seinem wackligen Holzstuhl, die beiden wirklich schon so gut kannte. Wie oft hatten die beiden im Laufe der Jahre mit ihm ihre Spiele getrieben. Daher war er schon ganz automatisch bei ihnen auf der Hut. Denn ein weiteres Mal wollte er bei ihnen nicht auf die Nase fallen. Wohl in den letzten Jahren ihre Aktionen stark nachgelassen hatten, wollte er ihnen nicht blind über den Weg trauen. Dafür kannte er sie wirklich zu gut! Aber diesmal war den beiden wirklich nicht nach einem Stuhl ansägen, Schwarzfahren, Grimassen ziehen zumute. Es war diesmal wirklich alles ganz anders. Es war der Abschied ihrer Jugend, den sie mit einem frechen Grinsen eher stehen lassen wollten. Steckte den beiden denn noch so sehr die Müdigkeit in den Knochen, dass jeder von ihnen nur noch so schnell wie möglich in sein eigenes Bett wollte. Denn so sehr sie es genossen hatten, in ihrem Alter noch ihren kindlichen Leichtsinn auszuspielen, merkten sie mit jedem zunehmenden Jahr, die zunehmenden Rückschmerzen, des harten Untergrundes, des harten Bodens. Was sie aber für nichts und niemand aufgeben wollten, denn es gab für sie nichts Schöneres als unter freiem Himmel zu schlafen. Und was die Zukunft für sie gab, dass hatten sie am letzten Abend in einem langen Gespräch herauszufinden.
„Machen sie es gut Zwereck!“ was schon, aus seiner Sicht, eine endgültige Verabschiedung war. Was wirklich für ihn mehr als ein schlechter Scherz war. So komisch es sich auch anhören mag, mochte er die beiden. Sogar für das, was sie ihm angetan hatten. Aber war ihm doch in den letzten Jahren sein Beruf mehr als eintönig geworden. Hier oben auf dem Berg zu sitzen. Am Rande einer Wohnanlage, die mehr als eine Zierte für die da war, die es sich von ihrem Geld, wirklich leisten konnten. Und, wann war mal einer von denen hier oben. Doch meist nur am Wochenende, und das nur bei passendem Sommerwetter. Die vergangenen Zeiten waren nun mal vorbei. Dass war noch was. An diese Tage erinnerte sich Herr Zwereck heute noch sehr gerne. Warum hatte er eigentlich diesen Job bekommen. Sollte er noch am Anfang bei den Olympischen Spielen dafür sorgen, dass die Zuschauer rechtzeitig zu den Alpinsportarten kommen sollten, übergab man ihm nun die Verantwortung für diejenigen, die für ihn noch nicht einmal ein Trinkgeld daließen. Über was sich Zwereck mehr als einmal aufgeregt hatte. Hielt er doch wirklich bei jedem Wetter die Seilbahn in Betrieb. Vielleicht freute er sich da darüber, da an manch einem regnerischen Novembertag die Jungs hoch zu ihm auf den Berg kamen. Wohl er sich nie bei ihnen um ein gutes Verhältnis gekümmert hatte, konnte er es sich nicht verleugnen, dass er sie wirklich in sein Herz geschlossen hatte. Aber sagen wollte er ihnen das nicht. Außerdem war Herr Zwereck nicht gerade der Mensch, der sich darum bemühte, großartig Geschichten zu erzählen. Nichtsdestotrotz, war er ein sehr bedeckter Mensch, der in seiner Haut sehr eingeschlossen war. Aber David und Pat, sie wussten immer wie weit sie mit ihm spielen konnten. Da war es ihnen egal, was manch einer aus der Stadt über ihn sprach, wo sich Herr Zwereck seit Jahren nie mehr hatte blicken lassen. Ein Grund, den David und Pat sehr gut kannten, aber sie wussten, dass sie Herrn Zwereck niemals darauf ansprechen durften. So gingen sie mit ihrer Fahrkarte, nur mit ihrem breiten Grinsen weiter, ohne dabei auch nur ein Wort zu sagen. Und er, er ließ sich ein kleines Grinsen nicht vermeiden, was die beiden eher selten sahen. Wirklich sehr selten. Gerade hatten sie den Einstieg in die Fahrkabine erreicht, kam auch schon ein bereits wartender Herr Zwereck rasch aus seiner klein beschaulichen Kabine angerannt, der hier auf den Berg, in der Seilbahnstation, schon so etwas wie die perfekte Allzweckwaffe war. Von dem einfachen Kartenverkauf, bis hin zur technischen Instandsetzung war es nun auch nicht verwunderlich, dass er den zwei feste die Kabinentüre zuschloss, und rasch durch die Schalter im Kontrollcenter, ihre Fahrt ins Tal startete. Die die beiden sehr genossen. Sah man doch die Stadt Sarajevo in ihrer echt unvollständigen Pracht immer näher kommen. Etwas, was die zwei immer wieder mit Schweigen, sehr genossen.
Im Tal angekommen, waren sie auch schon schnell ausgestiegen, und schon verabschiedete sich auch schon Pat von seinem Kumpel, der im Gegensatz seine weitere Fahrt, zu sich nach Hause, mit der Tram fortsetzen musste, nicht so wie David, der nur wenige Schritte zu seinem Elternhaus laufen musste. Da es in einer der Außenbezirke der Stadt lag. Wo alles noch ein wenig ruhiger vonstatten ging, anders als im Stadtkern. Was seinem Vater sehr nahe kam. Hatte er doch das hektische Leben, nach Eintritt in seine Rente, im Stadtkern wirklich nicht mehr ausgehalten. Da sprach von seiner Seite wirklich nichts dagegen, seinen Lebensabend eher etwas ruhiger zu gestalten, was David am Anfang nicht so ganz toll fand. Wohnten sie doch noch damals in unmittelbarer Nähe von Pat, den er mit einem einfachen Weg auf die andere Straßenseite besuchen konnte.
David musste beim Durchschreiten, des alten, wackligen Gartentores höllisch aufpassen, dass er nicht allzu viel Lärm machte. Was, wenn er die Worte seines Vaters schon vor Tagen ernst genommen hätte, wirklich vermieden hätte werden können. Denn wie oft hatte er seinen Sohn schon wirklich darauf hingewiesen, nun endlich mal die Gelenke des Tors ein wenig zu ölen. Aber, wie der Sohn mal war, hatte er da nun mal echt besseres zu tun. Aber wirklich Sorgen, dass er, David, durch das schlagartige Erwachen seiner Eltern, höllischen Ärger bekommen würde, darum musste er sich wirklich keine großartigen Sorgen machen. Wie an diesem Morgen, denn sah man doch schon von weitem, durch das Küchenfenster Licht brennen. Wo David seine Mutter das Frühstück herrichten sah, während sich sein Vater bestimmt noch im Bett noch einmal zur Seite drehte. Was in diesem Haus wirklich schon mehr als sonderbar war. David, sich wirklich nicht erklären konnte. Er, aber mit einem einfachen Schulterzucken, mit der Zeit einfach gelernt hatte, zu akzeptieren.
Es waren nur wenige Schritte, vom Gartenzaun, durch ihren kleinen Vorgarten, wo sich Davids Mutter die nützlichsten Gewürze, zum Kochen, angebaut hatte, bis er an ihrer Haustüre stand, die dem Charakter des Hauses entsprach. Ein altes Werkshaus, das sein Vater, in jahrelanger Arbeit, seiner Familie hergerichtet hatte. So wie er sich das in seinen schönsten Träumen ausgemalt hatte. Entsprach das doch der Vorstellung, wie er sich seinen Lebensabend vorgestellt hatte. Schroff hörte sich die große, massive Holztüre an, als ihm seine Mutter die Türe öffnete. Hatte sie ihn doch schon durch das Küchenfenster kommen sehen. Was so auch wirklich besser war, als durch die übertönte Türklingel, noch unnötig Davids Vater aus dem Schlaf zu reißen, der davon wirklich nicht so tolle begeistert gewesen wäre. Hatte er doch erst widerwillig seinem Sohn dem gestrigen Zelten zugestimmt. Sollte sich doch seiner Meinung nach sein Sohn lieber auf den morgigen Arbeitseintritt vorbereiten. Und nun mal endlich seine Kindheit beiseite legen. Was in dieser Hinsicht, wohl gestimmt hatte, aber so sehr sich auch David auf das Erwachsenwerden freute, hing er noch sehr daran, das Leben als ein Kind noch einmal zu sehen. Was er nur mit Zustimmung seiner Mutter noch einmal erleben wollte, die sehr bei ihrem Mann, ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte. Und nun, nun hatte er sein Versprechen eingelöst, und war rechtzeitig nach Hause gekommen. Denn alleine hätte es sein Vater bestimmt nicht geschafft, im Wald Holz holen zu gehen. Dafür war er wirklich schon zu alt. Was er seinem Vater feste versprechen musste, so sehr er das auch gerne vermieden hätte, aber gehörte das nicht zu der Abmachung, die ihm erst das Zelten ermöglich hatte. Und nun musste David in den sauren Apfel beißen. So schwer es ihm nun mal fiel, wollte er seinen Teil der Abmachung einhalten.
Stillschweigend folgte David seiner Mutter in die Küche, wo ein frischer Duft von frischen Brötchen herauskam. Was David gleich gefiel, war er doch ohne etwas gefrühstückt zu haben, von seinem Zeltplatz zurückgekommen. Da war es nun, wie ein Geschenk des Himmels, als ihm gleich seine Mutter schweigend ein warmes Brötchen auf dem Teller servierte.
„Ist Papa schon wach?“ erkundigte sich David nach dem ersten Bissen, bei seiner Mutter, die gerade damit beschäftigt war, wieder die nächste Runde Teig anzurühren. Waren doch ihre Brötchen in der Nachbarschaft so beliebt, dass dies Davids Mutter zur besten Nebeneinnahmequelle ausnutzte. Was nun zur Folge hatte, dass sie früher als gewohnt, den Tag beginnen musste. Was ihr auf der anderen Seite sehr leid tat, hätte sie doch noch sehr gerne, an der Seite ihres Ehemannes verbracht, musste sie sich doch auf der anderen Seite eingestehen, dass sie mit der Rente ihres Mannes gerade so über die Runden kamen. War das vielleicht der Grund, warum sie aus dem Stadtkern herausgezogen waren? Waren doch hier die Lebensumstände um einiges günstiger.
Davids Mutter, sie nickte nur schweigsam mit dem Kopf. Lauschte lieber schweigend dem Radio, in dem schon seit Tagen nur ein und dasselbe Thema kam.
An solchen Tagen wie diesem, verfluchte es Pat, dass er im Zentrum der Stadt wohnte. Denn es gab wirklich nichts grausameres für ihn, als in einer völlig kalten Tram zu sitzen, und die Stationen bis zum Ziel rückwärts zu zählen. Wenigstens hatte er seine Ruhe. Es war Wochenende, also war nicht der Verkehr, wie er eigentlich an den Werkstagen üblich war. Nur ein alter Rentner saß ihm in einer völlig leeren Tram gegenüber. Der so in seine Tageszeitung vertieft war, dass er ihn noch nicht einmal richtig zur Kenntnis nahm.
So sehr Pat beim Zelten alles verdrängt hatte, kam es ihm beim Erblicken der Titelseite alles wieder hoch. Er konnte es wirklich nicht glauben, wie er sich die Situation erklären sollte. In welch einer Situation er sich gerade befand. Über was er sich noch gestern, lange mit seinem Vater unterhalten hatte, bevor er sich zusammen mit David auf zum Zelten machte. Aber so richtig, konnte er sich mit dem Zelten auch nicht davon ablenken, so sehr er sich dies auch gewünscht hatte. Es ging einfach nicht.
Nichts war mehr mit dem Großjugoslawien, in dem seine Eltern groß geworden waren. In dem er sicher zur Schule gegangen war. Pat kam es so vor, als drehe sich die Welt um sich. Als säße er auf einer unkontrollierten Kanonenkugel. Aber warum? War die Politik wirklich so schwer zu verstehen für ihn? Oder konnte er sich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, dass sich nun die Welt im Wandel befand? Aber was hatte das mit ihm zu tun? Was hatte sein Vater damit gemeint, „Jugoslawien dürfe nie aufhören zu existieren“. Warum hatten sich vor zwei Tagen die Teilrepubliken Slowenien und Kroatien von Jugoslawien losgelöst? Warum las er nun auf der weit aufgeschlagenen Titelseite, der vor ihm weit aufgeschlagenen Tageszeitung, jugoslawische Armee rückt auf die im Südwesten Kroatiens liegenden Städte Slawonien und Krajina vor. Was hatte das alles zu bedeuten?
Pat wollte nur noch nach Hause. Auf sein Zimmer. In seine gewohnte Umgebung. Er brauchte nur noch Zeit für sich. Musste dies erstmal alles verarbeiten. Aber morgen würde ihn ja die Uni erwarten. Wo er am liebsten gleich hingegangen wäre. Es schien Pat so, als wäre er dem Wagen zur Hölle gerade noch einmal entsprungen, als sich an seiner Haltestelle, die Türen öffneten, und er aussteigen konnte. Obwohl heute ein Sonntag war, an dem sowieso nicht gerade der Betrieb wie an den Wochentagen herrschte, kamen Pat die Straßen wie leergefegt vor. Eine Situation, die seine Gemütslage nicht gerade viel besser erschienen ließ. Gebannt schaute er auf der Straße umher. Blickte mit zunehmender Angst der wegfahrenden Tram hinterher, und bereute es, dass er überhaupt ausgestiegen war, bis sie letztendlich im Nebel verschwand und er sich alleine in der Straße befand. Wie vom Affen gebissen, rannte er plötzlich los. Schnell und immer schneller. So als sei es der Lauf, von dem alles abhing. Das Rennen seines Lebens. Was war mit ihm los? Was ging in ihm vor? Pat, er rannte, er rannte bis er nicht mehr konnte. Nichts konnte ihn aufhalten. Der Schmerz in seinen Beinen, der bei jedem Schritt immer mehr in den Oberschenkeln zog. Das Hämmern, seines Herzes, das sein Blut durch den Körper rasen ließ. War das, vor dem er so große Angst hatte. „Wir stehen kurz vor einem Krieg!“ hörte er leise seinen Vater sprechen, als er diesen beim Fernschauen beobachtete. Was Pat zu diesem Punkt wirklich nicht glauben konnte. Wohnte er doch in der Mitte von Europa. Herrschte doch in seinem Land, die sichere Demokratie. Endlich, als Pat das Straßenende erreicht hatte, rannte er auch schon durch die Gebäudeeingangstüre hindurch, schnell durch das Gebäude, in den Hinterhof, wo er nach einer blitzartigen Rechtsabbiegung auch schon das Treppenhaus des Nebengebäudes hoch rannte, und im dritten Stock angekommen, mit gezücktem Haustürschlüssel die Türe öffnete, hinter der ihn schon sein Vater in Empfang nahm. „Papa, wird es Krieg geben?“ hakte er aus seiner vollen Panik bei ihm nach. Aber da ertönte auch schon der Ton, des laufenden Fernsehers aus dem nahe liegenden Wohnzimmer „Die Jugoslawische Volksarmee zieht die Belagerung mehr und mehr um Dubrovnik zu“.

02

David hatte sich gerade sein zweites Brötchen geschmiert, da saß auch schon sein Vater mit total verschlafenem Gesicht bei ihm am Küchentisch. Wie gerne hätte er noch ein wenig länger geschlafen. Aber, wusste er nicht selbst, dass es heute ein verdammt harter Tag werden würde. Den er so früh wie möglich beginnen wollte. Denn eins war ihm da sehr gewiss, dass er umso früher mit der Arbeit fertig wäre. Also, da nahm er trotz allem Widerwillen, lieber einen gewaltigen Schluck aus seiner Kaffeetasse, und dachte sich dabei seinen Teil. Denn so sehr er es auch gewollt hätte, musste er ja die Arbeit machen.
„Wie war das Zelten? Hattet ihr euren Spaß?“ fragte er missmutig seinen Sohn, so, als wolle er überhaupt kein Gespräch anfangen. Aber die ganze Zeit so schweigsam da zu sitzen, das brachte ihn wirklich nicht auf eine bessere Stimmung.
David nickte nur schweigsam mit dem Kopf, und grinste dabei über alle Backen hinweg. So – wie es sein Vater von ihm gewohnt war. Bewunderte er doch immer wieder, wie sehr sein Sohn sein Leben genoss. Eine Kindheit, um die er ihn sehr beneidete.
Schnell hatte er noch einen kräftigen Schluck aus seiner Kaffeetasse genommen, forderte er auch schon seinen Sohn auf, den Holzkarren aus dem Schuppen zu holen, der sich direkt hinter dem Haus befand. Der auf David schon einen ziemlich fertigen Eindruck hinterließ. Was im glanzvollen Garten, der mit seiner großflächigen Wiese, die keinen Grashalm höher erscheinen ließ, als den anderen, machte diesen Garten, der mit all seinen Apfel- und Birnenbäumen angelegt war, schon zum Vorzeigegarten in ihrem Viertel. Da war es für Davids Vater fast schon peinlich, wie sehr sein Schuppen aus dem Bild fiel. Was er, wie gerne schon repariert haben wollte, wenn da nicht seine starken Rückprobleme gewesen wären. Aber zum Glück reichte seine Kraft noch aus, für die alltäglichen Sachen, die im und ums Haus anstanden.
Als sie sich auf den Weg zur Stadtgrenze, in den örtlichen Wald aufmachten, war der Nebel schon so gut wie verzogen. Ein immer wiederkehrendes Schauspiel dieser Stadt. Die im Schein jungfräulicher Jugend, jeden Morgen immer wieder aufs Neue erwachte. Eine Liebe, die Davids Vater vor Jahren in diese Stadt gerufen hatte.
Sie wechselten immer wieder den Standpunkt, von wo aus sie sich immer das Holz für ihre Kamine nahmen, mit denen sie ihr Haus heizten. Was nach Davids Vater immer noch die billigste Art war. Was seinem Sohnemann eher gewaltig auf die Nerven ging. Er konnte es sich nicht erklären, dass sein Vater nicht mal auf die Idee gekommen wäre, sich eine Gasheizung zu besorgen, was der Zeit nach, wirklich mal angemessen wäre. Gehörte die doch wirklich schon zum Standart jeglicher Gesellschaft. Und nicht, wie der letzte Urmensch, Monat für Monat, sich im Wald sein Brennholz zurecht zu sägen. Aber David nahm dies, wie immer, mit einem leisen Zähneknirschen hin. Denn beschweren konnte er sich wirklich nicht. Dafür hatte sein Vater wirklich schon so viel durchgemacht, dass David im Laufe der Zeit wirklich gelernt hatte, damit umzugehen. War für ihn doch selbst die ganze Erfahrung nicht gerade sehr leicht. Es einfach zu verstehen, wie sehr sich in den letzten Jahrzehnten die Lebensumstände seiner Familie verändert hatten. Und das nur wegen der Liebe willen. Aber war sein Vater nicht Serbe, und seine Mutter Kroatin, was in ihrer damaligen Heimatstadt Dubrovnik eigentlich nur geduldet wurde. Herrschte doch seit Anfang der 80er Jahre eine immer mehr zunehmende Spannung unter den einzelnen Völkergruppen, in den jeweiligen Teilrepubliken ein immer zunehmender Druck der nationalen Volksgruppen, was ein Weiterleben in Kroatien wirklich undenkbar erscheinen ließ. So entschied sich die Familie eher in einer Nacht- und Nebelaktion ihre alte Heimat zu verlassen. Konnte sie doch nicht einmal für die Sicherheit ihres eigenen Sohn garantieren, der von seiner alten Schule schon als serbischer Hurensohn bezeichnet wurde. Tage an denen David immer wieder heulend von der Schule zurückkam. Eine zunehmende Spannung, die in der ganzen Stadt zu spüren war.
Sie achteten beim Beschneiden des Brennholzes sehr darauf, dass sie die jungen Bäume meist links liegen ließen und sich stattdessen, bei dem alt abgestorbenen Holz bedienten. Das zwar wegen seiner Abgestorbenheit für die beiden sehr schwer zu durchsägen war. Aber wollten sie doch in den Kreislauf der Natur nicht eingreifen. Was David nicht so leicht begreifen wollte. Ging es nach seiner Meinung, wäre das wohl ein wenig schneller vonstatten gegangen. So hatte er seine Mühe, seine schlechte Laune für sich zu behalten.
„Krieg dich wieder ein David, wir sind ja gleich fertig!“ versuchte ihn sein Vater immer wieder zu beruhigen. Fiel es doch diesem wirklich schwer zu verstehen, dass sein Vater sich mit der üblichen Mengen von Brennholz wirklich nicht begnügen wollte. Er hatte solch eine Vorahnung, dass es in nahe liegender Zukunft auf jedes Stück Holz ankam.
Es war bereits dunkel geworden, als sie ihre letzte Lieferung Holz hinter dem Haus, im Schuppen untergebracht hatten, und nun David heilfroh war, dass er mit seinem Vater den Heizvorrat für den kommenden Winter in sicherem Gefilde hatte, und nach ihrer Meinung, der Winter nur noch kommen konnte. Aber nichts von allem ging dieser Tag ohne Spuren an ihnen vorbei. David konnte die Anzahl seiner Blasen, die er sich beim Sägen zugezogen hatte, kaum noch überschauen. Seinem Vater ging es nicht gerade viel besser. Trotz seiner vielen Arbeitsjahre, war er nun froh, als er völlig ausgelaugt sich zu Hause, am Küchentisch mit einer großen Portion Bratkartoffeln stärken konnte, die seine Frau, für ihre zwei Männer im Haus mit Liebe zubereitet hatte. Und im Hintergrund, da lief wieder das Radio, auf das alle wie gespannt starrten. Was sich in den letzten Tagen nicht so großartig verändert hatte, was die Menschen, so veränderte. Aber noch hörte sich alles so ruhig an. Es schien jedem so, dass sich die angespannte Lage vom Vormittag wieder ein wenig gelegt hatte. Hatte es doch vielleicht Davids Vaters alte Heimat geschafft, sich von dem großen Jugoslawien abzuspalten, ohne dass dabei ein einziger Tropfen Blut floss. Was sich er so wirklich nicht vorstellen konnte, wusste er doch wirklich nur zu gut, dass die serbische Kultur, die größte Minderheit in Kroatien stellte. Was auch mehr als einmal im Radio gesagt wurde – und das sollte der Grund dafür sein, warum die nationalen Serben in Belgrad einen Grund der Gefahr für ihre Kultur in Kroatien sahen. Die Welt war echt schon sonderbar, wenn es um die nationale Kultur ging. Was nicht nur David so ging, sondern eher auch seinen Eltern, die die ganze Sache am eigenen Leibe erleben durften.
Niemand sprach ein Wort. Jeder schaute den anderen nur nachdenklich an. Warum sollte da noch jemand ein Wort reden, denn es wusste jeder gleich, was der andere dachte. Sie konnten es sich ausmalen, welch ein Unheil auf Bosnien Herzegowina zurollte.
Pats Gemütslage hatte sich am späten Abend ein wenig beruhigt. So vertraut war er in seinen eigenen vier Wänden, dass er sich dort immer noch am wohlsten fühlte. Saß er nun in der Dreizimmerwohnung seiner Eltern, im Wohnzimmer, das einen recht familiären Eindruck hinterließ. Die Kindheitsbilder, die Pats Jugend, in allen Zügen zeigte. Seine Mutter hing sehr an ihm. Eine Mutterliebe, die manchmal sogar Pat zuviel wurde. Aber, was sollte er da machen, er wusste nun mal, wie Mütter waren. Umso mehr, genoss er solch einen Abend wie diesen, wo es seine Eltern liebten, in der Küche zu sitzen, und gelegentlich Schach spielten. Aber so sehr Pat sich in seiner Vertrautheit immer noch am wohlsten fühlte, fiel es ihm schwer, die ganze Situation vor dem laufenden Fernseher, irgendwie recht zu verstehen. Denn wie konnte es wirklich sein, dass die Republik Jugoslawien vor der Spaltung stand? Ein Staat, der unter Marschall Tito, nach dem Zweiten Weltkrieg, in eine sozialistische Bundesrepublik umgewandelt wurde. Die sechs Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien führten ein starkes Eigenleben. Was die jeweiligen Länder zu mehr Mitspracherecht führte. Also, mehr Freiheit, die nur so mehr Unstimmigkeiten unter den nationalen Gedanken, der einzelnen Bundesstaaten, immer mehr und mehr zu einzelnen Streitigkeiten geführt hatte, bis zu der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien. Pat verstand wirklich die Welt nicht mehr. Da genoss er doch lieber die kühle Cola, die ihm seine Mutter kurze Zeit zuvor aus der Küche gebracht hatte. Hatte sie solch ein schlechtes Gefühl ihrem einzigen Sohn gegenüber, dass sie an diesem Abend nicht für ihn da war. Denn nach Fernsehen war Pats Eltern lange nicht mehr zumute. So viel Gewalt und Elend des Kriegs wollten sie sich nicht länger anschauen. Und Pat, er hatte an diesem Abend fürs erste auch mal genug. Völlig entfernt, und verbittert von all dem Elend und Hass, legte er gleich die abgedrückte Fernbedienung beiseite und ging zu seinen Eltern in die Küche, deren Glückseligkeit man bereits schon vor der Zimmertüre hören konnte. Und Pat, bei ihm konnten seine Eltern nicht so recht ein Lächeln, beim Betreten des Raumes, erkennen.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“ erkundigte sich nach einem kurzen, besorgten Blick Pats Mutter bei ihrem Sohn. Worauf Pat nur schweigend mit dem Kopf nickte. Ihm war nach all dem Fernsehen, nicht nach Reden zumute. Aber sie kannten die Geschichte von Jugoslawien mittlerweile schon so gut, dass sie den plötzlichen Verfall des Landes nicht länger mit ansehen wollten. Und Pat, er war in diesem Zusammenhang einfach noch zuviel Kind, um zu begreifen, dass sich der Krieg von ihnen nicht allzu weit weg befand. Oder hatten sie einfach Angst, sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen. War der Konflikt wirklich so weit weg, oder machte sich Pat unnötig das Leben schwer?


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