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Leseprobe Pascal

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Es war ein Dienstag. Ein sonniger Tag. Ein Tag, der vielen Menschen wie gerufen kam, denn es war wahrscheinlich jedem anzumerken, dass die letzten Regentage niemandem so recht gefallen hatten.

Martina und Pascal hatten es sich am späten Nachmittag - nach der Schule - auf dem Schulhof bequem gemacht. Pascal skatete, ließ sein Buch mal auf der Seite liegen, und Martina, auf der Mauer sitzend, schaute ihm derweil zu.

„Hey, ihr beiden, hab ihr schon gehört!“, rief da ein dahergelaufener Rene zu, der schnell durch sein lautes Gebrüll bei den zweien die Aufmerksamkeit gewonnen hatte.

„Gehört, was sollen wir denn gehört haben?“, fragte Martina verwundert bei einem Rene nach, der sich schnell neben sie gesetzt hatte, währenddessen Pascal unbeirrt weiterskatete.

„Dass unsere Klasse heute Abend ins Kino fährt“, machte Rene einer Martina klar, die auf das breite Grinsen von Rene einfach nicht eingehen wollte. Da stellte sie ihm doch lieber die Frage: „Kino? Warum gehen wir denn ins Kino?“ Diese Frage konnte Martina sich schenken, diente dies doch der allgemeinen Bildung. Und so kam es, dass sich am späten Abend die versammelte Klasse ins nahe liegende Kino aufmachte.

Am Kino angekommen, schaute Pascal nicht schlecht, als er die Zwillinge mit ihrer versammelten Mannschaft in unmittelbarer Nähe von ihm stehen sah. Nicht verstehen wollte er, dass Julia immer noch mit ihnen herumhing, da konnte Pascal noch so viel mit seinen Blicken herumstottern, wie er wollte.

Wie gerne wäre er zu Julia gegangen, wenn seine Jungs schlagartig zu ihm gekommen wären. Trotz der dummen Situation machte Pascal einen ziemlichen coolen Eindruck auf seine Freunde, dennoch schaute er immer wieder zu Julia herüber, was den wenigsten auffiel.

Pascal wusste im ersten Moment nicht so recht, wie er mit seinen dahergelaufenen Kameraden umgehen sollte, waren diese ihm doch die letzte Zeit aus dem Wege gegangen. Und nun wusste er nicht so recht, wie er sie einordnen sollte, war doch das Misstrauen auf seiner Seite einfach zu groß, dass er sie in diesem Moment nicht so behandeln konnte, als wären sie gute Freunde.

Pascal hatte bei jedem weiteren Blick Richtung Julia gehofft, er würde erwidert, aber leider vergebens, Julia drehe sich stattdessen lieber so schnell beiseite, dass sie überhaupt nicht die Chance hatte, ihm wenigstens einmal in die Augen zu schauen. Und so kam es halt, dass Pascal zusammen mit Martina und der restlichen Clique ins Kino hineinging, dass auf sie alle nicht gerade einen modernen Eindruck hinterließen, das der heutigen Zeit entsprach.

An der Kasse vorbei, gleich nach rechts, um die Ecke herum, die Treppe hinauf und direkt durch die Eingangstüre hinein, in den Vorführraum, und gleich in der letzten Reihe nahmen sie Platz. Und Julia saß vorn zwischen der ersten und letzten Reihe, sie hatte sich einen einsamen Platz in der Mitte des Raumes genommen, was die Zwillinge weniger störte. Sie hatte es sich zusammen mit ihrem Fanclub in der ersten Reihe bequem gemacht, wo sie immer im festen Blickkontakt von Frau Hilgers waren, denn sie hatte den Auftrag von der Schulleitung bekommen, dem Ganzen ein Ende zu machen. Und warum? Weil sich ihre Dummheit über die ganze Schülerbreite hinauf bis hin zur Schulleitung hoch gesprochen hatte, was die Schulleitung als Grund nehmen wollte, etwas dagegen zu unternehmen, bevor die Sache ihr noch aus der Hand gleiten sollte, hatte sie doch sich ihr gegenüber einem Ruf zu verteidigen.

Als die Erwartung auf den Film ihren Höhepunkt gefunden hatte, sahen die Schüler auch schon den Vorhang aufgehen, und die Blicke starrten wie gebannt auf die Leinwand. Und Pascal konnte, in den Augen von Martina, seinen besorgten Blick von Julia einfach nicht lassen. Aber was sollte er machen? Sich neben sie setzen? Ihr zu Hilfe eilen? Das wäre bestimmt das Richtige gewesen. Aber da war Rene schon ein bisschen schneller gewesen. Er hatte gleich, nachdem er seine geliebte Cousine angeschaut hatte, seinen Platz verlassen. Sich neben sie gesetzt. Liebevoll die Hand gehalten, was ihr bestimmt ein bisschen Aufmunterung gab, war doch Rene zu diesem Zeitpunkt der einzige Mensch, dem sie da noch vertrauen konnte.

Kaum war der Film zu Ende, verließen auch schon die ersten Schüler im Abspann ihre Plätze und machten sich auf aus dem Kinosaal, hinaus ins Freie, und versammelten sich vor dem Eingang, derweil blieb Rene zusammen mit seiner Cousine auf ihren Plätzen sitzen, denn er wollte nun von Julia wissen, was los war, war er doch die Person, die jetzt ein offenes Ohr für ihre Probleme hatte. Eine Diskussion, der sich Pascal gerne angeschlossen hätte, aber gerade als er zu ihnen herübergehen wollte, winkte ihn Rene so unbemerkt zurück, was Julia nicht mitbekam. Und so hatte Pascal keine andere Möglichkeit mehr offen, als das Kino zu verlassen.

Draußen angekommen, stand Pascal auch schon in der angesammelten Menge, die sich noch in der Stimmung des Filmes befand, wovon er sich aber nicht blenden ließ. Er kannte diese ganzen Sprüche schon auswendig. „Geiler Film, das Beste, was ich je gesehen hab.“, oder ein Einfaches „cool“, dies alles konnte er wirklich nicht ernst nehmen. Es war nichts gegen das, was Pascal kurze Zeit später zu Ohren bekam, „Heute Abend schnapp ich mir Julia“, röhrte da Thorsten auf, den Pascal gerade noch im aussprechenden Moment erkennen konnte.

Vom Schein geblendet, hatte Pascal eher mit einem schlechten Witz gerechnet, aber Thorsten wiederholte sich, in einem Moment, in dem Rene, zusammen mit seiner Cousine, aus dem Kino kam, und wir nun von einem großen Glück reden können, dass Rene nicht kurze Zeit früher kam, denn was wäre wohl passiert, wenn anstatt Pascal Rene diese Worte gehört hätte?

Pascal ging gleich zu Rene herüber, erzählte ihm das, was er aus dem Munde von Thomas gehört hatte. Etwas, was Rene irgendwie nicht verstehen wollte oder konnte, so oft er auch nachgefragt hatte, Rene wies ihn nur ab, was Pascal nicht in den Kopf ging.

Schnell ließ Rene Pascal wieder abblitzen, er war ihm zu keinem Dank verpflichtet, und Julia bekam von alledem nichts mit, sie hatte sich für einen kurzen Moment zu Martina gestellt, die sie ein wenig aufgemuntert hatte, und die Diskussion von Rene und Pascal hinter dem Rücken von Julia aufmerksam beobachtet hatte.

„Was wollte Pascal von dir?“, fragte Julia ihren Cuson, während Pascal von ihm ging. Eine Frage, auf die Rene nur mit einem schweigenden Blick beantwortete.

Kaum hatten sich die Schüler vor dem Kino zusammengesammelt, machten sie sich auf den Rückweg. Pascal ging zusammen mit Arno, Oliver, Thomas, Patrik, Bob und Rene am Ende der Gruppe, und die Zwillinge gingen mit ihrem Fanclub der Gruppe voraus, was bei Pascal große Verwunderung ausgelöst hatte.

Nach einem langen und anstrengenden Fußmarsch kamen die Schüler endlich an ihrem Internat an. Schnell begaben sie sich in das Hauptgebäude, gingen in den Speisesaal und begaben sich rasch an ihre Plätze. Sprachen ihr übliches Tischgebet und wurden durch das übliche Mahl rasch in die wahre Realität geholt, vorbei war die Euphorie des Filmes, was Pascal eher weniger interessiert hatte, saß er lieber schweigend auf seinem Platz, ließ das Essen links liegen und krümelte mit seinen Gedanken in eine andere Welt.

„Pascal, was hast du vorhin noch einmal gesagt?“, erkundigte sich urplötzlich Rene mit solch einer Tonlage bei Pascal, dass man Rene ohne Probleme im ganzen Speisesaal hören konnte.

„Was hat den Pascal gesagt?“, hakte Oliver interessiert nach.

„Ich glaube, das kann euch Pascal selbst erzählen, oder nicht, Pascal?“

Pascal war nunmehr die Ohnmacht im Gesicht anzusehen, was war plötzlich in Rene gefahren, dass er nun solch eine Spur fuhr.

„Pascal, bist du noch da?“, rief Rene ihm zu, der in Angesicht seiner Freunde nicht so recht begriff, was los war.

„Pascal, wo bist du?“, wiederholte Rene mit zunehmend lauter Stimme.

Pascal gab keine Antwort, saß wie versteinert da, plötzlich klatschte Rene so unerwartet in die Hände, dass man bei Patrik schnell erkennen konnte, wie unerwartet Pascal aus seiner Welt gezogen wurde. Und nun ging alles sehr schnell. Rasch veränderte sich in solch einer Schärfe Pascals Gemütslage, so sehr, dass der dümmste Raum schnell erkennen konnte, dass die Scheiße nun gewaltig am Dampfen war.

Hastig stand Pascal von seinem Platz auf, schaute umher, in die Gesichter der einzelnen Schüler, die ihn immer mehr anstarrten, ihn zum Mittelpunkt des Geschehens machte. Eine Situation, die Pascal schnell unsicher machte. Ein Moment, den Rene schnell ausgenutzt hatte.

„Pascal, soll ich den Jungs mal erzählen, was du mir klargemacht hast!“, gab Rene lautstark zu erkennen.

„Rene, du hast deinen Spaß gehabt, lass Pascal jetzt in Ruhe!“, bat ihn nunmehr Oliver, der aber dann schon wieder von Rene geschluckt wurde „...Pascal hat nämlich behauptet, dass die „scheiß“ Zwillinge sich heute noch an Julia vergreifen würden. Toller Witz. Nicht wahr, Jungs!“

Nun war Pascal geistliche Stärke aus und vorbei, provozierend schaute er Rene an, aber Rene ließ sich davon nicht abschrecken, er war noch längst nicht fertig, aber Pascal schrie einfach dazwischen.

„Rene, was willst du wissen? Vielleicht, was ich dir vorhin... Was soll ich dir sagen? Vielleicht jene Sorge, die ich mir um Julia mache.“ Die Schüler fingen allesamt an zu lachen, und Rene stand da, bewegte keine Miene, grinste Pascal nur nach einer Weile dumm an, ein Anblick, der Pascal immer mehr aus der Ruhe brachte.

„Warum machst du dir überhaupt solche Sorgen um Julia?“, fragte Rene einen Pascal, der ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte.

„Warum ich mir Sorgen mache!“, schrie Pascal Rene an.

„Ja, warum wohl?“, hakte Rene in einem zunehmenden normalen Ton nach.

Stille trat in den Raum, jetzt hatte wohl jeder gemerkt, was wirklich los war. Und Frau Hilgers kam gerade in einem Moment in den Raum hinein, als sich Pascal und Rene Aug um Aug gegenüberstanden. Sie begriff nicht, was los war. Sie konnte nicht glauben, dass sich zwei Freunde das Leben vor der Internatsgesellschaft so zur Hölle machten.

Im Türrahmen stehend, wusste Frau Hilgers nicht, wie sie den Raum betreten sollte, versteinert stand sie da, und musste zugeben, dass sie die Kontrolle verloren hatte.

„Pascal, was ist hier los?“, schrie sie nach einem kurzen Moment der Befangenheit nach.

Jetzt war die Lage wirklich heiß, aber Pascal konnte Frau Hilgers nicht ernst nehmen, da konnte sie noch so laut schreien, wie sie wollte, er konnte nicht mehr auf seinem Platz sitzen bleiben, dafür war ihm sein Stolz von Rene einfach zu sehr angegriffen worden.

„Pascal, setzt dich!“, schrie sie ihn immer wieder an, dieser zeigte keine Regung, er ließ Frau Hilgers einfach eiskalt stehen und beschäftigte sich lieber mit Rene: „Hör mal gut zu, mein Freund! Warum ich mir wohl sorgen um Julia mache.“

„Ja warum?“, hakte Rene nach.

„Weil ich sie liebe!“

Wie auf Kommando fingen alle Schüler an zu lachen und Rene schaute Pascal mit einem schweigenden zunehmend provozierten Blick an, den er auf die Dauer nicht ertragen konnte.

Pascal rannte aus dem Saal, und Frau Hilgers wusste drauf nicht, was sie machen sollte und ließ die Sache eher schweigend vorbeiziehen, wartete lieber, bis die Normalität sie eingeholt hatte, alles wieder seinen normalen Gang ging.

Pascal rannte verzweifelt durch das Gebäude, hinaus in die Freiheit, auf den weit abgelegenen Friedhof, setzte sich auf die Bank, wo alles angefangen hatte, und fing an zu heulen.

Es dauerte nicht lange, bis die Jungs mit dem Essen fertig waren und Rene den Speisesaal verlassen konnte und Julia es kaum erwarten konnte, mit ihm zu sprechen.

„Was war denn bei euch los?“, fragte sie erstaunt ihren Cousin, war doch das Geschrei im Haus wirklich nicht zu überhören.

„Was soll bei uns los gewesen sein? Ich habe doch nur mit Pascal gesprochen!“, gab Rene ihr nunmehr zu erkennen.

So dumm auch die Situation war, so hart schlug auch Julia aus, feuerte Rene so dermaßen eine, was er nicht wahrnehmen konnte.

Rene hatte wirklich mit allem gerechnet, aber dass Julia so sauer auf ihn war. Nein, das hätte er nach all ihren liebevollen Gesprächen wirklich nicht erwartet.

Es dauerte lange, bis Rene sich wieder gefangen hatte, bis ihm bewusst wurde, was sich gerade abgespielt hatte, Julia war derweil schon längst über alle Berge, sie folgte den Spuren Pascals, denn sie wusste, was ihm in diesem Moment welche Gedanke ihm durch den Kopf gingen.

Durch die lange Gänge des Gebäudes rennend, drückte sie sich an der schleichenden Menge vorbei, hinaus ins Freie, wo sie gleich auf dem Vorplatz mit schnell zusuchenden Blicken Pascal erkennen versuchte, aber leider vergebens, so rannte sie weiter, immer schneller, mit dem Gedanken immer bei Pascal. Julia wusste, was Rene ihm angetan hatte. Sie kannte seine Gefühlswelt so, dass sie ihn mit seinem gebrochenen Schmerz nicht alleine lassen wollte, zu einem Zeitpunkt, in der ihr klar wurde, dass sie diejenige war, die die Meinung anderer immer so ernst nahm. Julia wollte keine Ratschläge - keine dummen Kommentare - sie wollte nun das, was sie die ganze Zeit so vermisst hatte – Pascal.

Von Bolzplatz hin über den Schulhof wollte sie gerade in Richtung Friedhof laufen, als plötzlich jemand von hinten ihren Namen so laut rief, dass Julia im ersten Moment von ihrem Schock gebremst wurde. Versteinert, mit voller Erwartung, drehte sie sich um und sah nur eine Frau Hilgers, die ihrem Anschein nach es wirklich nicht glauben konnte, dass sich Julia noch nicht auf ihrem Zimmer befand.

Pascal saß zu diesem Zeitpunkt noch an der Friedhofsmauer, mit all seinen Tränen in seinem Gesicht, getrieben von seinen innersten Gefühlen versuchte Pascal einen Punkt zu finden, der ihm klarmachen sollte, wie sehr - wie hart ihn Rene getroffen hatte, dem er bei Gott so etwas nicht zugetraut hätte.

Nach langem Hin und Her - ständigen Gefühlsschwankungen - ging Pascal mit einem verstörten Blick zurück auf sein Zimmer, dort hatte er gerade die Türe geöffnet, erblickte er ein im Bett liegenden Bob, der schnell sein Buch beiseite gelegt hatte, als er in das Zimmer eintrat.

Mit einem schweigenden Blick folgte Bob ihm, versuchte zu erkennen, was in einem Mensch vorging, der so langsam begreifen wollte, was in seinem Zimmerkumpel vorging.


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